Jakob Kirchheim     StartGallery | Exhibitions | Linocut films | Africa films | Films | Projects  | JK - CV - Imprint | Links | Email | Data privacy | JK Editionöffnet neues Fenster

Illustration zu "Zigeuner" von Albert Ehrenstein - Linoldruck von Jakob KirchheimZigeuner

Ich bin schuld. Ich habe der Feuerwehr von Motschidlan die Spritze verschafft. Schon als Kind konnte ich sehr schön schreiben und damals nützte man das aus. Der Onkel entdeckte meine kalligraphischen Fähigkeiten, der Ärger, in der Ferienzeit zu irgend einer Arbeitsleistung gepreßt zu werden, mag in das Konzept gedrungen sein, aber mein Widerstreben und meine Versuche zu entrinnen, nützten mir nicht: ich mußte heran. Während meiner republikanischen Periode betrachtete ich die Affäre als den Schandfleck meines Lebens und später - aus anderen Gründen - ebenfalls. Hätte ich doch damals dem ewigen: »Also geh, Rudolf, sei brav und schreib!« nicht gefolgt!

Es ist nicht zu verhehlen: ich war es, der das Majestätsgesuch abfaßte. Es kam ein günstiger Bescheid und bald darauf das Geld für die Spritze. Zahllose Kataloge, Utensilien und Branduniformen betreffend stellten sich ein. Nun ging es zu Ende mit den Kübeln und Feuerhaken. Unter der Dorfjugend grassierten zwar schon längst kleine Spritzen aus Hollunderholz. Aber die große Spritze der Erwachsenen funktionierte bedeutend besser. Vom Bach aus schoß der Strahl wahrhaftig über die Dorfkirche und dann war er noch so kräftig, daß ein Enterich, der ein wenig abbekam, die Muschel seiner Sehnsucht ungeöffnet liegen ließ und mit einem, die Schlechtigkeit der Welt bloßlegenden »Waat, Waat!« die Flucht ergriff.

Das Löschgerät also war da, aber woher schnell einen Brand nehmen? Aber noch waren Zigeuner im Orte, Zigeuner, denen nichts Menschliches fremd war: sie eigneten sich alles an. Ihre Hütte stand nahe dem übelriechenden Schlachthaus, hart am Sumpf. Sie nährten sich vom Abfall und den Dingen, die sich gelegentlich zu ihnen fanden. Der Schlachttag war für sie ein Fest. Da durfte der Familienvater, der alte, graulockige Tonek dem Fleischhauer die Kuh hinrichten helfen, kleine Handreichungen fielen für ihn ab, die mit Schimpfwörtern belohnt wurden. Endlich bekam er die ersehnten Kaldaunen an den Kopf geworfen.

Im übrigen fertigte der Alte Ketten an, die er auf den Jahr- und Wochenmärkten in der Umgebung verkaufte. Aber der Richter des Ortes, der Schmied war und seinerseits den Wein aus den Kellern den Bauern stahl, sah diese zweifache Konkurrenz nur ungern. Auf ihn durfte Tonek nicht rechnen, wenn er am Kirchtag den bäurischen Musikanten mit der Baßgeige aushalf und bei der Teilung des Tanz- und Trinkgeldes zu kurz kam.

Das Weib des Tonek besaß nur eine Hand, die andere war in einer Häckselmaschine geblieben. Sie bekam für sie eine Schüssel Buchteln und zwei Vierkreuzerstücke Schmerzensgeld. Der Bauer, in dessen Scheuer das Unglück geschehen war, behauptete später, das Gericht habe der Diebin die Hand wegschlagen lassen. Das Gesetz, das ihr die Hand nahm, hätte er ja doch nicht verstanden: einmal in ihrem Leben hatte die Zigeunerin gearbeitet und da mußte sie eben zu kurz kommen.
Der alte Tonek besaß Kinder. Wovon die lebten, weiß ich nicht. Denn was die Kaldaunen anlangt, erstand dem Tonek wieder ein Konkurrent, als Jura Modliba vom Militär heimkehrte. Jura, der Hundefresser. Der aß die Nachgeburt seines Weibes. Ihm gaben die Bauern wenigstens noch hie und da Arbeit. Die zwei Zigeunerdirnen, als sie zwölf Jahre alt waren, stieß man vor die Brust, die Halbnackten schrien in ihren Fetzen: »Mammi!", so lange, bis sie das Offizierskorps der nächsten Garnison erhörte. Eine Weile humpelten sie noch mit Kinderskeletten auf dem Buckel umher, dann kam die Schwindsucht, dörrte sie und ließ sie ins Grab fallen. Ein brauner Knabe, der kleine Matjin ging dann noch kurze Zeit auf der hartherzigen Erde einher mit Fieberaugen, staubstarrenden Füßen im Leichenhemd: eines hungrigen Tages aß er etwas zuviel tote Frösche und starb wie sie.

Es ist selbstverständlich, daß die Zigeunerhütte das beste Objekt für Brandübungen war.
In einer Winternacht ward Feuer an die Hütte gelegt. Die Flamme fraß und fraß. Ein Feuerwehrtier brach in die Hütte und riß den schlaftrunkenen Tonek beim Haar, das schlafende Weib beim verstümmelten Arm aus dem Feuer. Das war ein Hauptspaß. Das Tier bekam die Lebensrettermedaille. Die Zigeuner wurden noch oft ausgeräuchert. Der Schaden bezifferte sich jedenfalls nur auf mehrere Gulden, aber - ich bin schuld. Ich habe das Majestätsgesuch geschrieben. Wenn ich schlafe, träume, dem Enterich ein Idealbild jenseits des Lebens erscheint, geht meine Hütte in Flammen auf und eine sündige Faust reißt mich, den schon Versenkten beim Haar aus dem Feuer. Ich habe gerade noch die Kraft »Waat! Waat!« zu schreien und die Schlechtigkeit der Welt bloßzulegen. Aber das hilft mir nicht. Die blutige Staubkruste an den Füßen des kleinen Matjin kann ich nicht wegdenken. Und wenn ich sterbe und man meinen Magen aufschneidet, wird man tote Frösche in ihm finden.

Top